Donnerstag, 21. Juni 2012, 19 Uhr
In einem Aufsatz mit dem Titel „Strzemiński and Kobro: In Search of Motivation“ (1984) schrieb Yve-Alain Bois: „Modernismus im weiten Sinne war nicht lediglich ein Akt ontologischer Reduktion – das ist Greenbergs kanonische Interpretation –, sondern ein riesiges Motivationsunternehmen; es ging darum, das Beliebige zu motivieren.“ Anders gesagt: Man kann modernistische Arbeiten als Suche nach Quellen verstehen, die sich nicht auf das beziehen, was Bois den „persönlichen Geschmack und Willen“ der Künstler_innen nennt. Denn Geschmack bringt als Ausdruck der künstlerischen Subjektivität kompositorische Gestaltung mit sich – und Komposition erzeugt Beliebigkeit.
Nach Bois ist die „Nicht-Komposition“ im Gegensatz zur Komposition ein Weg, Arbeiten zu schaffen, die sich nach einem „Ordnungsprinzip“ orientieren, „das nicht von subjektiven Entscheidungen abhängig wäre“ und so Beliebigkeit verhindert. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts hat die Nicht-Komposition verschiedene Formen angenommen und viele radikale Werke hervorgebracht.
Seit den späten 1960ern macht Morgan Fisher Kunst; am Anfang standen seine Filme. Die Nicht-Komposition ist seit jeher eine der Grundlagen seines Werks, auch heute, da er sein Schaffen auf andere Medien ausgedehnt hat.
Yve-Alain Bois wird mit einem kurzen historischen Überblick über verschiedene Formen der Nicht-Komposition beginnen; anschließend werden Bois und Fisher Formen der Nicht-Komposition diskutieren, die in Fishers Arbeiten auftreten, insbesondere in seinen malerischen Werken und in Arbeiten, die sich auf Architektur beziehen.
Yve-Alain Bois
Kritiker, Kurator und Kunsthistoriker. Spezialist für europäische und amerikanische Kunst des 20. Jahrhunderts. Außerordentliche Professur (1983–1989), dann Professur (1989–1991) an der Johns Hopkins University, Baltimore. Von 1991 bis 2005 Joseph Pulitzer, Jr. Professor of Modern Art und von 2002 bis 2005 Vorstand des Instituts für Kunstgeschichte und Architektur, Harvard University. Derzeit Professor für Kunstgeschichte am Institute for Advanced Study, Princeton University. Kuratierte und co-kuratierte zahlreiche einflussreiche Ausstellungen, u. a. Piet Mondrian, A Retrospective (1994, The Hague, Washington, New York), L’informe, mode d’emploi (1996, Paris, mit Rosalind Krauss), Matisse and Picasso: A Gentle Rivalry (1999, Fort Worth), and Picasso Harlequin 1917–1937 (2008, Rom). Zahlreiche Publikationen, u. a Painting as Model (1990), Formless: A User’s Guide (1997, mit Rosalind Krauss), Matisse and Picasso (1998) und Art Since 1900 (2004, mit Benjamin Buchloh, Hal Foster und Rosalind Krauss). Mitbegründer und Co-Leiter des Macula-Magazins (1976–1979) und der Macula-Buchreihe (1976–), Mitherausgeber von October (1991–) und Redakteur von Artforum. Yve-Alain Bois arbeitet derzeit an mehreren langfristigen Projekten, u. a. an einer Studie über Barnett Newmans Malerei, am Werkverzeichnis von Ellsworth Kellys Gemälden und Skulpturen und an einer Geschichte der axonometrischen Projektion.
Morgan Fisher (*1942 in Washington, D.C., lebt und arbeitet in Los Angeles) studierte zunächst von 1960 bis 1964 Kunstgeschichte in Harvard, besuchte dann die Filmakademie in Los Angeles und wechselte schließlich zum Film. Er arbeitete danach für mehrere Jahre in Hollywood, vor allem als Cutter, und entwickelte aus dieser Erfahrung heraus seine Experimentalfilme. Mitte der 1970er Jahre entstanden auch mehrere Filminstallationen, die dem Expanded Cinema zugeordnet werden können; Mitte der 1990er Jahre wandte sich Fisher schließlich in weiterer Konsequenz der monochromen Malerei und Installationen aus monochromer Malerei zu. Fishers filmisches Werk und seine konzeptuelle Malerei wurden u. a. im Whitney Museum of American Art, New York, der Tate Modern, London, im Neuen Aachener Kunstverein, im Portikus, Frankfurt am Main, und zuletzt im Museum Abteiberg, Mönchengladbach, gezeigt.